World Lagomorph Society
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Energiehaushalt, Thermoregulation und Reproduktion beim Europäischen Feldhasen (Lepus europaeus)
Hackländer, K.
Summary

In ganz Europa sind im Laufe der letzten Jahrzehnte die Dichten der Feldhasenpopulationen
gesunken. In der vorliegenden Dissertation wurden zwei Faktoren
untersucht, die die Populationsdynamik dieser Tierart beeinflussen können
und daher mit dem Rückgang in Verbindung gebracht werden: Klima und Nahrungsverfügbarkeit.
Dazu wurde im Labor der Einfluss der Temperatur auf den
Energiehaushalt von Junghasen untersucht, und die Bedeutung der Nahrungsqualität
auf den Stoffwechsel und die Reproduktionsleistung adulter Häsinnen analysiert.
Zusätzlich wurde im Freiland bestimmt, ob die Fruchtbarkeit der Häsinnen
und die Zuwachsrate einer Population von den klimatischen Bedingungen (jährliche
Niederschlagsmenge) und der Nahrungsverfügbarkeit (Anteil an naturnahen
Stilllegungsflächen) beeinflusst wird.
Die Thermoregulation der Junghasen ist eng mit der Reproduktionsstrategie
der Feldhasen verknüpft. Junghasen werden mit Fell geboren und wachsen an der
Erdoberfläche ohne isolierendes Nest auf. Da sie in weiten Teilen Europas von Januar
bis Oktober geboren werden, können sie sehr widrigen Wetterbedingungen
ausgesetzt sein. Wie eigene Messungen des Sauerstoffverbrauchs ergeben haben,
sind Junghasen jedoch bereits in den ersten Lebenstagen in der Lage, auf Kälte
mit einer Erhöhung der Stoffwechselrate zu reagieren und damit ihre Körpertemperatur
aufrecht zu halten. Ab 0 °C erniedrigen Junghasen sogar ihre Wärmedurchgangszahl
ohne dabei ihre Körperkerntemperatur zu verringern. Sie sind
demnach in der Lage, durch periphere Vasokonstriktion ihren Wärmeverlust in
Zeiten extremer Kälte zu minimieren. Die thermoregulatorischen Fähigkeiten der
Junghasen sind jedoch mit hohen energetischen Kosten verbunden.
Energie, die für Thermoregulation benötigt wird, kann nicht für ein schnelles
Wachstum eingesetzt werden. Eine rasche Gewichtszunahme würde aber nicht
nur eine frühe Selbstständigkeit ermöglichen, sondern auch die Kältetoleranz auf
Grund des besseren Körperoberflächen-Volumen-Verhältnisses erhöhen. Wie Messungen
der Körpergewichtsentwicklung im Rahmen dieser Dissertation gezeigt
haben, können Junghasen ihr Gewicht innerhalb von fünf Wochen um das 8,5-
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fache erhöhen, wobei die relative Wachstumsrate in den ersten beiden Lebenswochen
am höchsten ist. Die für das Wachstum notwendige Energie kommt nach
unseren Messungen zum Großteil über die Milch, da die Aufnahme fester Nahrung
zwar in der zweiten Lebenswoche beginnt, aber nur etwa 20% der gesamten
Energieaufnahme während der fünfwöchigen Laktationsperiode ausmacht. Vor
allem in der ersten Lebenswoche, in der die relative Wachstumsrate am größten
ist, zeigten unsere Berechnungen der Energiebilanzen, dass die Milch als einzige in
dieser Zeit vorhandene externe Energiequelle, nicht ausreicht, um sowohl Kälte zu
widerstehen als auch schnell zu wachsen.
Die Energieversorgung der Junghasen kann durch eine fettreiche Diät der
Mutter verbessert werden. Häsinnen, denen besonders fettreiches Futter zur Verfügung
steht, zeigen einen raschen Anstieg der Futteraufnahme, einen höheren
Energiegehalt ihrer Milch und geben bei größeren Würfen eine größere Milchmenge
ab. Es ist aufgrund der vorliegenden Messungen davon auszugehen, dass Häsinnen
bei subotpimaler Fettversorgung nicht in der Lage sind, ihre nährstoffverarbeitenden
Organe schnell genug zu vergrößern, um die hohen energetischen
Anforderungen zu erfüllen, die mit der Aufzucht von Laufjungen mit hohen Stoffwechselkosten
verbunden sind. Aufgrund der hier vorgestellten Befunde muss angenommen
werden, dass Häsinnen mit unzureichender Nahrungsversorgung eine
niedrigere Reproduktionsrate haben (kleinere oder weniger Würfe). Dies hätte
entsprechend negative Folgen für den Zuwachs und damit für die Dichte einer Population.
Bei den Untersuchungen im Freiland stellte sich heraus, dass sich Häsinnen
aus Regionen mit verschieden hoher Populationsdichte nicht hinsichtlich ihres Körpergewicht,
ihres Gesundheitszustand oder ihrer Anzahl an Uterusnarben unterscheiden.
Langfristige Unterschiede in der Populationsdichte trotz gleicher Reproduktionsrate
und gleichem Jagdmanagement lassen darauf schliessen, dass die
genannten Unterschiede in erster Linie auf eine unterschiedliche Junghasenmortalität
zurückgeführt werden können. Die Ursachen für Unterschiede in der Junghasenmortalität
können durch Unterschiede in der Habitatqualität erklärt werden.
Zwar gab es zwischen den Gebieten mit hoher und niedriger Populationsdichte
keine Unterschiede hinsichtlich der Habitatstruktur und des Anteils an naturnahen
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oder extensiv bewirtschafteten Flächen, doch war die Jahresniederschlagsmenge
in Revieren mit geringer Populationsdichte höher.
Die Reproduktionsstrategie der Feldhasen impliziert hohe energetische Kosten,
sowohl für laktierende Häsinnen als auch für Jungtiere. Bei einer Verschlechterung
der Umweltbedingungen steht den Hasen daher nur ein kleiner
energetischer Spielraum zur Verfügung, um den negativen Effekten dieser Umweltveränderungen
begegnen zu können. Folgende Faktoren könnten dazu geführt
haben, dass die Energiebudgets der Feldhasen heute weitaus negativer sind
als noch vor wenigen Jahrzehnten:
• Der Verlust an Strukturreichtum in der landwirtschaftlichen Fläche hat zu einer
Verringerung an Deckung geführt. Insbesondere Junghasen sind daher widrigen
Wetterbedingungen stärker ausgesetzt.
• Die globale Klimaveränderung hat einen Anstieg der Niederschlagsmengen in
weiten Teilen Europas zur Folge. Die thermoregulatorischen Kosten der Junghasen
übersteigen dadurch die ihnen zur Verfügung stehende Energie.
• Die Pflanzen-Biodiversität im Lebensraum der Feldhasen wurde stark dezimiert,
wodurch die Nahrungsqualität und –quantität eingeschränkt wurde. Laktierende
Häsinnen haben einen niedrigere Milchleistung und daher einen kleineren Reproduktionserfolg.
Neben dem Verlust an Lebensraum und der Zunahme an Prädatoren können
die Interaktionen zwischen den oben genannten ökologischen und physiologischen
Faktoren als eine der Hauptursachen für ein verringertes Populationswachstum
während der letzten Jahrzehnte angesehen werden und somit wesentlich
zum Verständnis des europaweiten Rückgangs der Feldhasen beitragen.

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Document Information
Publish date: July 2001
Edition: n/a